Theorie der neuronalen Schaltung des Gehirns

und des analytischen Denkens

ISBN 978-3-00-037458-6
ISBN 978-3-00-042153-2

Monografie von Dr. rer. nat. Andreas Heinrich Malczan

Teil 2.12 Die mikroelektronische Interpretation von Cortex und Cerebellum

Es mag mutig oder gar verwegen erscheinen, bereits hier das Gehirn und den heutigen Computer zu vergleichen. aber ein Vergleich könnte das Verständnis für die Gemeinsamkeiten und die Unterschiede befördern. Ein Hauptbestandteil von Computern sind Speicherzellen. Anfangs wurden vier Bits in einer Speicherzelle zusammengefasst. Kurze Zeit später verdoppelte man diese Anzahl. Die Bitbreite der Speicherbausteine wurde zum Qualitätsmerkmal. So kam zwangsläufig der 16-Bit-Computer, danach der 32-Bit-Computer. Gegenwärtig sind 64-Bit-Maschinen der Renner.

Bei Computern sind die (intern eingebauten) Speicher untereinander identisch und haben die gleiche Bitbreite. So besteht jede Speicherzelle beim 64-Bit-Speicher aus genau 64 Bits.

Beim Gehirn ist dies anders. Einerseits sind die Neuronen des primären und des sekundären Cortex Ein-Bit-Speicher. Die Purkinjegruppen des Cerebellums dagegen stellen Multi-Bit-Speicher dar, wobei die Bitbreite groß, aber teils variabel ist. Dies hängt einfach damit zusammen, wie viele Parallelfasern von einer Moosfaser gespeist werden.

Andererseits ist ein gespeichertes Signal, egal, ob als Ein-Bit-Komplexsignal in einer cortikalen Komplexzelle oder als Multi-Bit-Signal in einer Purkinjegruppe abgespeichert, noch nicht notwendigerweise aktiv. Dies ist ein weiterer Unterschied von Daten in Computern und im Gehirn. Beim Computer gibt es nicht die Einteilung in aktive und passive Speicherzellen.

Wir haben erkannt, dass der primäre Cortex aus Clustern besteht. Möge ein solcher Cluster also n Signalneuronen besitzen. Kann jedes dieser Signalneuronen die Werte aktiv oder passiv annehmen, so sind 2n verschiedene Kombinationen möglich. Nehmen wir (rein theoretisch) an, jede Kombination würde durch Prägung zum Eigensignal einer Purkinjegruppe des primären Cerebellums werden. In diesem Falle würde das System aus Cortex und primärem Cerebellum eine Abbildung von insgesamt 2n verschiedenen Wertekombinationen aus n Cortexneuronen in eine Menge von 2n Purkinjegruppen erzeugen. Eine Abbildung von n-stelligen Binärwerten auf 2n-stellige Binärwerte gibt es auch in Computerschaltungen. Es sind die Spalten- und Zeilendekodierer. Beide stellen Adressdekodierer dar.

Der Input eines Adressdekodierers der Bitbreite n ist eine n-stellige Dualzahl. Der Output ist eine Dualzahl mit 2n Dualziffern. Aber der Output hat eine Besonderheit:  Es ist nur eine Binärstelle gleich 1, die übrigen sind mit Null belegt. Letzteres trifft beim Cerebellum nicht mehr ganz zu. Auch „Adressleitungen“ mit ähnlichen Adressen werden miterregt. Anfangs mag dies eine Art Ausfallreserve gewesen sein, um den neuronalen Tod einer Purkinjezelle zu kompensieren. Später, als mehrere Purkinjezellen zu einer Purkinjegruppe zusammengefasst wurden, trat diese Zielstellung in den Hintergrund und die Hauptaufgabe dieser Nebenerregung ähnlicher Adressen wurde die Intelligenzstiftung im Rahmen der Assoziativmatrizen. Die rezeptive Nachbarhemmung verhindert, dass zu viele Adressleitungen gleichzeitig aktiv sind.

Das Cerebellum lässt sich als spezieller Adressdekodierer interpretieren. Der n-stellige Input aus dem Cortex wird von derjenigen Purkinjegruppe, deren digitale Signatur mit dem Input am besten übereinstimmt, in eine Adresse aus 2n Binärwerten umgewandelt, wobei nur die eigene Axonleitung aktiv ist, während die anderen Null sein müssten. Aber im Gegensatz zu einem digitalen Adressdekodierer sind nicht alle übrigen Axonleitungen signalfrei. Denn es ist ja gerade die intelligenzschaffende Eigenschaft der Assoziativmatrix, auch dann einen Output zu liefern, wenn das Inputsignal der digitalen Signatur ähnlich ist und das Eigensignal der Purkinjegruppe nicht vom Fremdsignal des Inputs übertönt wird. Aktiviert wird also nicht nur die Adressleitung, deren digitale Signatur dem Input entspricht, sondern auch die, deren digitale Signatur dem Input hinreichend ähnlich ist. Einen solchen Adressdekodierer wollen wir als analogen Adressdekodierer bezeichnen.

Während das direkte Cerebellum als analoger Adressdekodierer arbeitet, stellt das inverse Cerebellum die dazu inverse Schaltung dar. Daher ist das inverse Cerebellum ein analoger Adresskodierer.

Nun wird verständlich, warum die Hintereinanderschaltung von primärem Cortex, primärem Cerebellum, sekundärem Cortex und inversem sekundärem Cerebellum wieder den Originalinput ergibt. Ebenso wird klar, dass diese Hintereinanderausführung nicht der Multiplikation von Assoziativmatrix und inverser Assoziativmatrix entspricht. Die Bezeichnung Assoziativmatrix gehörte bereits zum festen Sprachumfang, bevor der Autor das Cerebellum als analogen Adressdekodierer enttarnte. In der Mathematik sind nur quadratische Matrizen invertierbar. Daher mussten jedem Mathematiker zeitweise die Haare zu Berge stehen, wenn er las, die Hintereinanderausführung einer rechteckigen Assoziativmatrix mit ihrer Inversen liefere wieder den Originalinput. Dieses Missverständnis sollte nunmehr als aufgeklärt gelten. Genauer müsste man sagen, die Hintereinanderschaltung eines Adressdekodierers mit einem Adressenkodierer liefert wieder die Originaladresse. Und diese Hintereinanderschaltung erfüllt nicht die Grundregeln der Multiplikation, so dass die Inverse jedenfalls nicht die Inverse bezüglich der Multiplikation sein kann. Mögen sich Grupentheoretiker mit dieser Thematik präziser auseinandersetzen.

Der cerebellare Adressdekodierer spricht nun eine riesige Anzahl von Speicherzellen an, von denen jede nur eine Bitbreite von einem Bit besitzt. Während im realen Computer die Speicherzellen in Zeilen und Spalten aufgeteilt sind und es meist genauso viele Zeilen wie Spalten gibt, weswegen auch je ein Spaltendekodierer und ein Zeilendekodierer benötigt werden, arbeitet das Cerebellum nicht mit zwei Dimensionen, sondern nur mit einer. Es gibt also (pro Cortexcluster) nur eine Spalte, dafür 2n Zeilen. (Umgekehrt interpretiert wäre es ebenfalls richtig: Nur eine Zeile, dafür aber 2n Spalten).

Dieser gravierende Unterschied relativiert sich jedoch schnell, wenn man bedenkt, dass es eine riesige Anzahl von Cortexclustern gibt, die man ja theoretisch durchnummerieren könnte. Dann hätte man wieder eine Spaltennummer, die der Clusternummer gleichgesetzt wäre. In diesem Speichersystem würde der Cortex quasi die Adressen als Input an die Cerebellumcluster senden.

Ein wesentlicher Unterschied zwischen dem digitalen Adressdekodierer von Computern und dem cerebellaren, analogen Adressdekodierer besteht darin, dass letzterer keine eigene Schaltung benötigt. Jede Purkinjegruppe trägt – fein versteckt – in sich die Fähigkeit, aus dem Input eigenständig zu ermitteln, ob das anliegende n-stellige cortikale Inputsignal mit ihrer digitalen Signatur hinreichend übereinstimmt, die als Adresse interpretiert wird. Trifft dies zu, aktiviert sie ihre Outputleitung, die eine Schreibleitung zu einer Speicherzelle im sekundären Cortex ist, und aktiviert diese Zelle. Im Cerebellum muss sich also kein Programmierer ernsthafte Gedanken darüber machen, an welcher Stelle – also unter welcher Adresse – er irgendwelche Binärdaten speichern will. Das Cerebellum gewinnt die Adresse vollautomatisch aus dem aktuellen Input der Daten. Diese geniale Lösung ist Ursache dafür, dass wir im Gehirn keinen Prozessor finden können. Die Grundfertigkeiten eines Prozessors sind im Gehirn in jeder beteiligten Zelle integriert, wobei unterschiedliche neuronale Zelltypen unterschiedliche Subschaltungen realisieren. Daher bleibt das System arbeitsfähig, wenn seine Teile vereinzelt ausfallen. Oder repariert sich selber durch Umbildung von Proneuronen zu Neuronen des benötigten Typs.

Und im Gehirn geht der Unterschied zwischen Daten und Adressen verloren. Die digitale Signatur ist die Adresse. Die Daten des primären Cortex sind im Cerebellum die Adressen ihrer Speicherorte im sekundären Cortex. Analog liefert das sekundäre, inverse Cerebellum zu den Daten des sekundären Cortex die Adressen der Daten im primären Cortex. Die Hintereinanderschaltung des direkten und des inversen Systems ermöglicht über die Signaloszillation die Entstehung von Bewusstsein und Denken, wie sich noch zeigen wird.

Ein einfaches Beispiel soll verdeutlichen, dass der Inhalt einer Speicherzelle durchaus als Adresse verwendet werden kann. Wir betrachten die Multiplikation von natürlichen Zahlen mit beispielhaft 3 Dezimalziffern. Es gibt 999 solche Zahlen. Aus ihnen lassen sich 999999 verschiedene Produkte bilden. Wenn man nun z. B. das Produkt 369 * 472 =  174168 in der Speicherzelle mit der Nummer 369472 abspeichert, so ergibt sich die Adresse des Ergebnisses dadurch, dass man die beiden dreistelligen Zahlen hintereinanderschreibt, notfalls mit Führungsnullen wie im Falle 10 * 19 = 190, wobei der Wert 190 in der Adresse 010019 gespeichert werden muss. Hat man jedes Produkt einmal abgespeichert, so kann man aus der Frage „Wie viel ist x * y?“ die Antwort ermitteln, indem man in der zugehörigen Adresse mit der Nummer x * 1000 + y nachschaut. Jegliches (sequentielles) suchen entfällt dann. Bei binärer Schreibweise entfällt sogar die Multiplikation, denn beide Faktoren werden in der Dualdarstellung einfach hintereinander angeordnet.

Hingewiesen werden sollte darauf, dass im Cerebellum nicht alle möglichen Komplexsignale vorhanden sind, sondern nur real vorkommende. Daher wird der Adressdekodierer viele Adresslücken aufweisen. Später werden wir sehen, dass nur ausgewählte Signalkombinationen aus meist sehr wenigen Neuronen – gemessen an der Gesamtzahl der Signalneuronen im Cortexcluster – zur Komplexsignalbildung herangezogen werden. In diesem Falle spricht man von Assoziativmatrizen mit spärlicher Codierung, die sehr viele Nullen enthalten. Dies gilt besonders für den primären Cortex, wie später im Teil 3 und 4 dieser Monografie zu zeigen sein wird.

Spannend ist nun die Frage, welcher digitale Output im Cortex aus den analogen Signalen der Rezeptoren gebildet wird. Und vor allem wie dies passiert. Erst die Antwort darauf wird uns verstehen lassen, was moderne Computer noch nicht können. Der Leser fasse sich hier noch in Geduld, denn diese Antworten sind im geplanten Teil 3 und Teil 4 dieser Monografie vorgesehen, die frühestens im Herbst 2012 begonnen werden wird.

Da sich der Begriff der Assoziativmatrix in der Neurologie und in der Theorie der neuronalen Netze bereits seit langer Zeit etabliert hat, wird der Autor diesen Begriff weiter verwenden, auch wenn die Assoziativmatrix (nach seiner ungeprüften Theorie) einen Adressendekodierer darstellt. Ebenso wird der Begriff der inversen Assoziativmatrix für das inverse Cerebellum weiterverwendet, auch wenn damit nicht die Inverse zur Matrizenmultiplikation gemeint ist. Wichtig ist nur, dass die Hintereinanderausführung beider den Originalinput ergibt. Vielleicht wird sich zu dieser Thematik auch ein eigener Sprachgebrauch herausbilden.

ISBN 978-3-00-037458-6
ISBN 978-3-00-042153-2

Monografie von Dr. rer. nat. Andreas Heinrich Malczan