Vorwort
Diese Monografie ist dem Human Brain Projekt der Europäischen
Union gewidmet.
1,19 Milliarden Euro investiert die Europäische Union in das
Human Brain Projekt zur Erforschung der Funktionsweise des menschlichen
Gehirns. Die bisherigen Ergebnisse sind recht mager, und die Zahl der
Kritiker wächst. Am Enthusiasmus kann es nicht liegen. Die
Befürworter versprechen sich riesige Fortschritte bei der
Behandlung von Krankheiten, aber auch bei der Entwicklung
künstlicher Intelligenz, die das menschliche Gehirn um
Größenordnungen übertreffen
könnte. Woran hapert es also?
Etwa 60.000 Veröffentlichungen zu diesem Thema erscheinen
jährlich. Angesichts der riesigen Informationsflut bedarf es
offenbar einer Person, die willens und in der Lage ist, diese Menge an
Fakten nicht nur zu verinnerlichen, sondern einen roten Faden
zu erkennen, der diese durchzieht und letztlich zur Erkennung der
Wirkprinzipien des Gehirns führt. Diese Aufgabe hat der Autor
nach seiner Ansicht gelöst und bietet dem Human Brain Projekt
der Europäischen Union eine in sich geschlossene Gehirntheorie
der Wirbeltiere an.
Nun sucht man im Human Brain Projekt nach einer Gehirntheorie des
Menschen, doch sollten wir bedenken, dass der Mensch seinerseits
zweifelsohne zu den Wirbeltieren zählt.
Die hier entwickelte Theorie beinhaltet einerseits die Entstehung des
zentralen Nervensystems der Wirbeltiere im Verlaufe der Evolution,
beginnend bei den einfachsten Bilateria mit einem
Strickleiternervensystem. Weiterhin beinhaltet sie die Herleitung der
Funktionsweise vieler Substrukturen des Gehirns in Bezug auf die in
ihnen stattfindende Signalverarbeitung. Ein Makel dieser Theorie
besteht darin, dass sie in deutscher Sprache vorliegt. Dieser Mangel
kann durch eine Übersetzung in die englische Sprache
abgestellt werden. Jemand, der die vielen hunderttausend Fakten der
Hirnforschung zu einem Puzzle zusammenfügt, hat keine
Speicherkapazität auf seiner Gehirnfestplatte übrig,
um auch die englische Sprache in Wort und Schrift zu beherrschen.
Der Autor hat geschätzt 20.000 Stunden Arbeit in dieses
Projekt investiert, völlig uneigennützig und ohne
Entgelt, und er ist nicht gewillt, diese Theorie
unveröffentlicht mit ins Grab zu nehmen, zumal er das
siebzigste Lebensjahr bereits begonnen hat. Diese Monografie ist quasi
sein wissenschaftliches Testament für die Europäische
Union. Der Springer-Verlag hat nach Einreichung der Monografie
zunächst zugesagt, dieses Werk zu drucken und so der
Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen. Nach Abschluss der
Berechnungen zur Wirtschaftlichkeit wurde jedoch von einer Drucklegung
abgesehen. Dennoch gebührt dem Springer-Verlag und
insbesondere Frau Dr. Stephanie Preuss Dank für die damit
verbundene Mühe.
Auch andere Verlage haben aus Gründen der Unwirtschaftlichkeit
abgesagt.
Daher erscheint diese Monografie im Eigenverlag. Hier macht es sich
bemerkbar, dass man dabei weder auf ein Lektorat noch auf begabte
Grafiker zurückgreifen kann, wenn man sich finanziell nicht
völlig ruinieren will. Der Leser wird deshalb um Nachsicht
gebeten.
***
Bis zum heutigen Tage liegt der Ursprung des Wirbeltiergehirns im
Dunkeln. Es wird davon ausgegangen, dass es sich aus den einfachsten
Nervensystemen der elementarsten Lebensformen herausbildete. Der
Prozess begann vor über 700 Millionen Jahren. Keiner von uns
ist dabei gewesen, und dennoch gibt es Zeugen dieser Entwicklung. Jeder
Neuronenkern, jeder Nervenstrang, jede neuronale Substruktur im
Wirbeltiergehirn legt Zeugnis ab von der schrittweisen Entwicklung des
zentralen Nervensystems der Wirbeltiere.
Die fast unüberschaubare Menge von Fakten, die über
das Nervensystem der Wirbeltiere, die Gehirne der Säugetiere
und das menschliche Gehirn im Verlaufe von Jahrtausenden
zusammengetragen worden ist, entzieht sich einer komplexen Betrachtung
allein schon durch ihre Fülle. Bereits die bloße
Aufzählung der Namen derjenigen, die wesentliche
Beiträge zur Erforschung dieser Materie beigetragen haben, ist
ein Fachgebiet für sich. Ebenso scheint es dem Autor
unmöglich, für jeden Fakt die primäre Quelle
zu belegen, mögen sich Wissenschaftshistoriker mit diesem
wichtigen Anliegen beschäftigen.
Erschwerend für die Aufklärung der Funktionsweise des
zentralen Nervensystems des Menschen ist der Umstand, dass sich
inzwischen Wissenschaftler unterschiedlichster Gebiete mit diesem Thema
befassen müssen. Diejenigen Vorgänge in der
Zellmembran von Nervenzellen, die Aktionspotentiale
ermöglichen, erfordern beispielsweise umfassendes Wissen auf
den Gebieten der organischen Chemie und der Physik, selbst
mathematische Aspekte sind zu beachten. Auch die Strukturen des
menschlichen Gehirns und die der Säuge- und Wirbeltiere sind
derart komplex, dass es viele Jahre braucht, um die wichtigsten von
ihnen zu kennen. Die ungeheure Komplexität der Verbindungen
zwischen den verschiedenen neuronalen Strukturen des Nervensystems
verkompliziert das Erkennen einer Systematik, die zu vermuten
wäre. Erschwerend kommt hinzu, dass in der Neurologie, die ein
Teilgebiet der Medizinwissenschaften darstellt, alle Substrukturen,
alle Nervenbahnen, ja fast alles mit lateinischen Begriffen belegt
wurde, die Nichtneurologen einiges abverlangen.
Die Sehnsucht nach einer Antwort auf die Herkunft von Seele und Geist
ist ungebrochen. Die Mathematiker nahmen sich dieser Thematik an und
bildeten sehr abstrakte Modelle, um die Entstehung von Intelligenz in
neuronalen Netzen zu analysieren. Der erreichte Abstraktionsgrad ist so
groß, dass man in neuronalen Netzen zwar noch Objekte findet,
die ähnliche Eigenschaften wie Nervenzellen aufweisen, jedoch
sucht man vergeblich nach den Substrukturen, die beispielsweise im
menschlichen Gehirn real vorhanden sind. Kein neuronales Netz besitzt
einen Tractus tegmentalis centralis oder eine Pyramidenbahn. Analog zum
sechsschichtigen Cortex des Menschen gibt es geschichtete neuronale
Netze, doch hat deren Schichtung rein gar nichts mit den
Neuronenschichten des Gehirns gemein. Natürlich haben diese
Forscher das gute Recht, völlig abstrakt künstliche
Systeme zu entwickeln, die Intelligenz hervorbringen. Aber ebenso haben
andere das Recht, Modelle zu entwerfen, die sich in Struktur und
Funktion am realen Gehirn orientieren, wie dies in dieser Monografie
beabsichtigt ist.
Die hier vorgestellte Theorie beginnt beim Urschleim, bei den
Einzellern, sie führt über die Mehrzeller und die
segmentierten Bilateria zu den Chordaten. Nur so ist zu verstehen, wie
das zentrale Nervensystem schrittweise entstand. Und eine Entwicklung,
die sich über viele Millionen Jahre hinzog, kann, wenn man sie
überzeugend nachvollziehen will, nicht kurz und
bündig sein. Sie wird ausufernd sein, ins Detail gehen, jeden
wichtigen Entwicklungsschritt aufzeigen müssen, denn nur dann
entsteht eine in sich geschlossene Indizienkette, die
überzeugend genug ist. Dem Leser wird also einiges an Geduld
und Ausdauer abverlangt werden. Der eine oder andere wird feststellen,
dass er zunächst selbst Wissenslücken
schließen muss, um die dargestellten Theorieelemente zu
verstehen. In den Kapiteln 1 und 2 wird daher der aktuelle Wissensstand
zum Gehirn der Wirbeltiere und vor allem zum Gehirn des Menschen
rekapituliert. Erst danach beginnt die Darlegung der vom Autor
entwickelten Gehirntheorie der Wirbeltiere.
Die hier vorgestellte Theorie mag den Anschein erwecken, der Weg des
Nervensystems vom primitiven Bilaterium bis zum Homo sapiens sei
irgendwie eine logische und gesetzmäßige Abfolge von
einzelnen Entwicklungsschritten. Aber wir sollten bedenken, dass es auf
jeder Entwicklungsstufe Millionen von Varianten gegeben hat, die anders
verliefen und deren Ergebnisse nicht auf den Pfad führten, den
die Wirbeltiere, die Säugetiere oder gar die Primaten
beschritten haben. Bei aller innewohnenden Logik ist der hier
aufgezeigte Entwicklungsweg letztlich zufällig entstanden. Bei
der Herleitung der hier vorgestellten Theorie gelang es dem Autor im
Verlaufe vieler Jahre aus der Fülle der möglichen
Entwicklungsvarianten diejenigen herausfiltern, bei denen einerseits
die neuronale Verschaltung der beobachteten Realität
entsprach, andererseits die dort stattfindende Signalverarbeitung sich
nahtlos in das entstehende Gesamtsystem eingliederte. Viele der
entwickelten Funktionsvarianten erwiesen sich im Nachhinein als falsch
und wurden verworfen, korrigiert oder modifiziert. Unzählige
Ordner mit Hypothesen und Faktensammlungen füllten den Keller
des Autors und zeugen von den Bemühungen, eine
Übereinstimmung von Theorie und Praxis zu erarbeiten.
In dieser Monografie wird eine Hypothese über die
Entstehungsgeschichte des zentralen Nervensystems der Wirbeltiere
vorgestellt. Mögen andere darüber befinden, ob die in
dieser Arbeit vorgetragenen Indizien diese Theorie hinreichend
stützen. Möglicherweise kann so eine neue Sichtweise
gefördert werden. Die gegenwärtige
Überschätzung der Synapsen im Gehirn, die in
mathematischen Modellen möglichst umfassend dargestellt werden
sollen, vernachlässigt die realen Signalwege im
Wirbeltiergehirn. Wer sämtliche Neuronen und ihre kompletten
synaptischen Verbindungen in einem realen menschlichen Gehirn kennt,
weiß noch lange nicht, wie es arbeitet. Als Beispiel
möge der etwa einen Millimeter große Fadenwurm
Caenorhabditis elegans dienen, dessen 302 Neuronen und etwa 5000
chemische Synapsen komplett erkannt wurden, ohne dass man deren
Zusammenwirken vollständig erklären kann. Man
weiß also trotz der Kenntnis des kompletten Aufbaus nicht,
wie sein Gehirn wirklich funktioniert.
Wer meint, die Quelle der Intelligenz liege in der Cortexrinde, wird
seine Ansichten überdenken müssen. Das Gehirn des
Menschen besteht aus unzähligen Substrukturen. Jede einzelne
von ihnen ist wichtig. Fällt ein Subsystem aus, hat das meist
schwerwiegende Folgen. Mediziner haben umfassende Fachbücher
darüber geschrieben, welche Symptomatik z. B. der Ausfall
einzelner neuronaler Strukturen nach sich zieht. Genannt seien
beispielhaft der Thalamus, die Formatio reticularis, der Nucleus
subthalamicus, das Striatum, die Substantia nigra pars compacta, der
Hippocampus, die Amygdala, der Hypothalamus, der Cortex, das
Cerebellum, aber auch das Rückenmark und sämtliche
Sinnesorgane. Alle diese Substrukturen spielen im Human Brain Projekt
der Europäischen Union nur eine untergeordnete Rolle.
Das Connectome-Projekt ist hier eine viel bessere Hilfe, erlaubt es
doch, die realen Strukturen im Gehirn zu erkennen und zu studieren. Wir
sollten uns mehr bemühen, das Zusammenwirken der Einzelteile
in der Theorienbildung zu berücksichtigen. Nur der, der eine
Pendeluhr, einem Ottomotor oder das Modell einer Dampfmaschine in ihre
Einzelteile zerlegt hat, kann deren Funktion begreifen.
Ähnliches gilt für das Gehirn. Ohne eine gute
Kenntnis der neuronalen Substrukturen der Wirbeltiergehirne kann deren
Funktion nicht erkannt werden.
An dieser Stelle sei allen gedankt, die den Autor bei seinen
Bemühungen unterstützt haben.
Besonderer Dank gebührt Frau Almut Schüz aus
Tübingen und Herrn Günther Palm aus Ulm für
das Interesse an diesem Projekt, für Ihre
Unterstützung und Förderung. Ebenso gedankt werden
muss Herrn Karl Zilles, Herrn Richard Hahnloser sowie Herrn Ulrich
Ramacher für ihr Interesse und ihre aufmunternden Hinweise.
Herrn Leo Gerbilsky aus Kiel gebührt besonderer Dank
für die freundliche Begutachtung einer
Vorgängerversion dieser Monografie im Auftrage des
Springer-Verlages, auch wenn es damals letztlich nicht zur Drucklegung
kam.
Frau Elisabeth Dägling gebührt großer Dank
für das jahrelange Interesse am Thema, den regen
Gedankenaustausch und das Lektorat der Vorgängerversion.
Gedankt sei hier aber vor allem Herrn Gerhard Roth, dessen wunderbares
Buch „Wie einzigartig ist der Mensch? Die lange Evolution der
Gehirne und des Geistes“ den Ausschlag gab, über die
schrittweise Entstehung der erkannten neuronalen Schaltungen der
Wirbeltiergehirne im Verlaufe der Evolution nachzudenken. Wir wissen
nicht zu wenig, sondern zu viel. Die Fülle der Fakten
vernebelt die zu erkennenden Zusammenhänge.
Andreas Heinrich Malczan
Oranienburg, den 08.03.2020