Theorie der neuronalen Schaltung des Gehirns

und des analytischen Denkens

ISBN 978-3-00-037458-6
ISBN 978-3-00-042153-2

Monografie von Dr. rer. nat. Andreas Heinrich Malczan

Teil 2.10. Die dynamische Speicherverwaltung und die Plastizität der Cortexrinde

Der Mensch wird mit einem Nervensystem geboren, welches auch nach der Geburt starken Veränderungen unterworfen ist. Die im vorigen Kapitel beschriebene Kletterfasersubstitution ist in hohem Masse geeignet, den Prozess der Plastizität des Gehirns und speziell der Cortexrinde zu erklären. Gleichzeitig wird mit dem Vorurteil aufgeräumt, das Gehirn hätte eine statische, feste „Verdrahtung“. Stattdessen kommen ständig neue Neuronen hinzu, die in das bestehende System eingebunden werden. Dass Neuronen auch absterben, ist bereits bewiesen worden.

Natürlich ist das nachfolgend dargestellte nur eine unbestätigte Theorie des Autors.

Wir denken uns ein primäres Cortexcluster aus n Signalneuronen. Im zugehörigen primären Cerebellum seinen bereits k Komplexsignale erlernt worden. Das k-te Komplexsignal sei das zuletzt erlernte. Wir deuten das Erlernen von Komplexsignalen als mehrstufigen Prozess.

Wenn es also bereits k erlernte Komplexsignale gibt, so gibt es im primären Cerebellum k Purkinjegruppen. Jeder von ihnen ist jeweils genau ein positives und ein negatives Kernneuron zugeordnet. Wir verwenden die Schaltungsvariante nach Skizze 1.25 von Seite 81. Wir denken uns nun ein neues und prägungsfähiges Komplexsignal der Nummer k + 1, welches bisher noch ungeprägt ist, nun aber so stark und so lange einwirkt, bis seine Prägung vollzogen ist. Da keine der ersten k Purkinjegruppen dieses neue Signal als ihr Eigensignal erkennt, wird also das k-te Verteilungsneuron im Nucleus olivaris aktiv sein. Dies liegt daran, dass kein negatives Kernneuron die Signalausbreitung entlang der sequentiellen Verteilungskette gehemmt hat. Daher ist das k-te Verteilungsneuron im Nucleus olivaris aktiv, solange dieses neue Komplexsignal einwirkt. Nach Ansicht des Autors aktiviert dieses k-te Verteilungsneuron im Nucleus olivaris ein bisher inaktives Proneuron, welches sich in ein glutamatergen Neuron umwandelt. Dieses neue, (k+1) – te Verteilungsneuron wird vom Vorgängerneuron erregt, falls dieses aktiv ist.

Dieses neue Verteilungsneuron bildet während seiner „Ausreifung“ ein Axon, welches zum zugehörigen Cerebellumcluster wächst, wobei als Leitstruktur eventuell das Axon des k-ten Verteilungsneurons zum Cerebellumcluster verwendet wird. Auch eine zusätzliche markergesteuerte Zielsuche ist möglich. Im Cerebellum angekommen aktiviert dieses Axon mit seiner neuronalen Aktivität eine Reihe verschiedener Proneuronen, die letztlich zu Purkinjezellen, Korbzellen, Sternzellen und Golgizellen ausreifen. Ebenso aktiviert dieses Axon im Cerebellumkern zwei Proneuronen, von denen das eine ein positives (glutamaterges), das andere ein negatives (GABAerges) Kernneuron wird.

Erst nach der Ausreifung all dieser Zellen kann nunmehr ein aktives, prägungsfähiges und bisher noch ungeprägtes Komplexsignal die neu entstandene Purkinjegruppe prägen, so dass es im Cerebellumcluster nunmehr k+1 geprägte Komplexsignale gibt.

Hier geht der dynamische Prozess der Speicherbildung aus Proneuronen weiter. Das (k+1) – te positive Kernneuron bildet ein Axon aus, welches in Richtung des sekundären Thalamus wächst und dort ein schlafendes Proneuron erweckt, welches als glutamaterges Thalamusneuron ein Axon in Richtung des sekundären Cortex aussendet. Daher wird nun im sekundären Cortex aus einem geeigneten Proneuron ein neues Cortexneuron gebildet, welches genau dann aktiv ist, wenn das neue Komplexsignal aktiv ist.

Das Matrixsystem bildet zu diesem Cortexneuron ein neues Kletterfasersignal, welches auch sukzessiv entsteht, indem die jeweils benötigten Proneuronen des erforderlichen Typs aktiviert und in Neuronen umwandelt werden. Im Ergebnis entsteht ein neues Kletterfaseraxon, welches zum (k+1) – ten Komplexsignal gehört und seinen markergesteuerten Weg zur (k+1) – ten Purkinjegruppe nimmt, um dort die magnocellulare Kletterfaser zu substituieren – also zu ersetzen.

Damit sind im Cerebellum (k+1) Komplexsignale gespeichert, von denen (nach und nach) jedes über das parvocellulare Kletterfaseraxon angesprochen wird. Und die parvocellularen Kletterfasersignale dienen bekanntlich der Nachprägung. Daher sind wahrscheinlich nur diese Signale Teil des Langzeitgedächtnisses.

Mit jedem neuen und ins Langzeitgedächtnis übernommenen Komplexsignal kommt also im sekundären Cortex genau ein neues Neuron hinzu, ebenso neue Neuronen im zugehörigen primären Cerebellumcluster. Je mehr Komplexsignale erlernt werden, umso mehr Cortexneuronen repräsentieren in der Cortexrinde das Gebiet, welches den ursprünglichen Rezeptoren zugeordnet ist. Genau dies ist aber die Plastizität, bei der die Größe eines Cortexgebietes der „Wichtigkeit“ und „Differenziertheit“ der zugehörigen Rezeptoren entspricht.

So kann z. B. durch Übung die Größe der Gebiete der Cortexrinde, die den Fingern zugeordnet sind, vergrößert werden. Dies ist beim Geigenunterricht zu beobachten.

Hinsichtlich der Speicheranforderung sind also Computer und Gehirn verschieden. Beim Computer ist der Speicher schon existent, bevor er benötigt wird. Beim Gehirn entsteht er dynamisch während des Lernprozesses.

Ungeklärt ist bisher, wie bereits existierender Speicher freigeräumt, also gelöscht wird, um danach mit neuen, anderen Signalen belegt zu werden. Dies muss möglich sein, weil die Masse des Gehirns ab einer gewissen Entwicklung relativ konstant bleibt, also keine ständige (massenhafte) Neubildung von Neuronen aus Proneuronen erfolgen kann.

Der Algorithmus des Vergessens lässt mehrere neuronale Varianten zu. Vielleicht wird Teil 3 oder Teil 4 der Monografie mehr Erkenntnisse dazu präsentieren.

Im nächsten Abschnitt befassen wir uns mit einer Schaltung, bei der ein Cerebellum quasi rückwärts betrieben wird. In etlichen elektronischen Schaltungen kann man Input und Output vertauschen. Solche „rückwärts“ betriebenen Schaltungen wollen wir hier als inverse Schaltungen bezeichnen. Sie bringen manchmal erstaunliche Resultate hervor.

ISBN 978-3-00-037458-6
ISBN 978-3-00-042153-2

Monografie von Dr. rer. nat. Andreas Heinrich Malczan